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15.04.2023, 18:45

Neue Lesung geplant

Geplante Lesung: am 3. November 2023 in Neuhäusel. Thema: Auslese    mehr


23.02.2023, 12:20

Lesung 24.02.2023

Gemütlich wird´s! Besucht uns im Weingut zu Landenberg in Ediger-Eller. Gastgeberin Karen Steinhauer begrüßt ab 19 Uhr Literaturbegeisterte zu den "Lieblingstexten" der Brückenschreiber-Koblenz. Wir freuen uns...   mehr




 

Jürgen Gebhardt               

JÜRGEN GEBHARDT, 1957 IN KOBLENZ GEBOREN, SEIT DER JAHRTAUSENDWENDE IM UNTEREN WESTERWALD LEBEND, LIEBT DIE NATUR, SPORT, MUSIK, LITERATUR SOWIE GUTE GESPRÄCHE UND GESELLIGES ZUSAMMENSEIN MIT NETTEN, INSPIRIERENDEN MENSCHEN.
„TUCHSCHERER AG“ IST SEINE ERSTE VERÖFFENTLICHUNG ZUM THEMA BÜRO, ARBEIT UND DEN TÜCKEN DES MANAGEMENTS.






Glücklich sterben


Der grüne Hummer mit den übergroßen Scheren ist das Logo meines neuen Restaurants.
Als Leuchtreklame über der groben Holzeingangstür strahlt er nachts in die belebte Seitenstraße. Gedruckt auf Servietten, Tellern und Gläsern ist er sichtbares Zeichen meines Erfolgs.
Der Laden brummt ohne Ende und ich bin froh, dass ich Robert mit seinem Team in der Küche habe und Serge und Isabell den Service schmeißen. Jetzt kann ich endlich das machen, was ich immer schon wollte. Nur einfach Patron sein. Ohne eine richtige Aufgabe zu haben, schlendere ich durch mein Lokal. Halte Schwätzchen mit meinen Gästen, die stolz darauf sind, dass sie mich kennen und ich sie erkenne. Dann trinken wir gemeinsam ein, zwei Gläschen Pastis. Mit eiskaltem Quellwasser. In meiner Spezialmischung, 1:2.
Oh nein, das war keineswegs immer so gewesen!
Das Le dernier repas in Saarbrücken hatte ich nach knapp 20 Jahren aufgegeben. Weiße Tischdeckchen aus feinem Tuch, Kristalllüster auf den Tischen, sündhaft teure Stilmöbel aus ausgewählten Antiquitätenläden als Einrichtung. Der Gruß aus der Küche hieß abgehoben amuse gueule. All das, was die gehobene französische Küche ausmacht, kochten wir: Lapin à la royale. Omelette aux truffes. Coq au vin. Französisches Nationalgericht. So wie ich es in meiner Lehrzeit in der Bretagne gelernt hatte. Mit Reis und Blumenkohlpüree. Und immer wieder homard. Hummer. In allen Variationen. Eine Brigade Angestellter, Küchenrufe natürlich stilsicher auf französisch. Selbst die Flucherei. Laut und aufgeregt.
Morgens um 4 Uhr auf den Großmarkt. Das Beste, das Angesagte, das war gerade gut genug. Restaurant geöffnet bis spät in die Nacht.
Ich hatte mir den Arsch abgearbeitet und bis zum Schluss den Guide Michelin-Stern gehalten. Dann war ich kaputt gewesen. Frustriert. Desillusioniert. Ich war gescheitert. Hatte es an die Wand gefahren.
Das Le homard qui fume de l´herbe am neuen Standort in München ist der gelungene Gegenentwurf zum Le dernier repas. Grobe Holztische auf Natursteinboden. Weiß getünchte Wände. Wegwerfservietten. Getränke: Französischer Landwein aus der Literkaraffe zum Preis eines Spitzenweins. Rot. Weiß. Trocken oder lieblich. Das ist es. Quellwasser aus dem Brunnen oder La Mortuacienne, die französische Kultlimonade, die direkt aus der Bügelflasche ohne Glas getrunken wird.
Die Karte erlaubt keine Kompromisse. Entweder dir schmeckt Hummer oder du musst mit einem Pan bagnat Vorlieb nehmen. Der Pizza der Südfranzosen. Hervorragend gemacht zwar mit einer von mir kreierten Spezialsoße, wie man es allenfalls von den besten Pan bagnat-Buden der französischen Riviera kennt. Zu Preisen wie im Hafen von Monaco während des jährlichen Formel 1-Rennens.
Die Münchner Schickeria ist halt doof. Die bezahlen jeden Preis, wenn du das Angebot verknappst. Wenn du ihnen das Gefühl gibst, wichtig, ganz besonders wichtig, zu sein.
Endlich war ich in dieser angenehmen Situation. Und ja, ich hatte es mir verdient. Jahrzehntelang hatte ich in der Küche geschuftet, mich zum Hummerexperten entwickelt. Diese gefährlichen Tiere mit ihren gewaltigen Scheren. Ich hatte mit drei abgeknipsten Fingerkuppen an der linken Hand einen hohen Preis bezahlt. Dazu der Mittelfinger der Rechten, für alle Zeiten versteift durch eine Entzündung nach einer Attacke eines Monsterhummers. Die anderen Finger der Hand: Gekrümmt durch eine sich ausbreitende Gicht. In manchen Situationen ganz praktisch. Aber halt nicht immer.
Schreien Hummer, wenn sie gekocht werden? Viele Köche behaupten, es sei nur Luft zwischen Schale und Fleisch, die für dieses quiekende Geräusch verantwortlich ist, wenn die Tiere lebend ins Wasser geworfen werden. Ich aber weiß, dass es Schmerzensschreie sind! Schon immer hatte mich dies belastet und bereits im Le dernier repas dafür gesorgt, dass ich in der Küche nicht mehr arbeiten konnte. Andere Restaurants hatten darauf reagiert und die Tiere verdeckt vor den Augen der Gäste in der Küche ins kochende Wasser geworfen.
Das gläserne Aquarium, das inmitten des Le homard qui fume de l´herbe aufgestellt war und unser Front Cooking verhinderten natürlich, dass ich und die Gäste dieser Situation entgehen konnten. Immer hörte ich die Schreie der armen Kreaturen, so laut wie wir auch Charles Trenets La mer aufdrehten!
Ich hatte experimentiert.
Herausgefunden, dass Hummer, die man für dreißig Minuten in eine mit fünf Zentimeter Meerwasser gefüllte, abgedeckte Plastikwanne setzt, in die man Marihuana-Rauch bläst, relaxt und glücklich sterben, wenn man sie ins kochende Wasser wirft. Der Geschmacksunterschied zur herkömmlichen Methode war frappierend. Nicht weil die Tiere nach Gras schmeckten, sondern deshalb, weil sie bis zur letzten Sekunde glücklich waren. Und der Nebeneffekt: Auch die Gäste waren besserer Stimmung, wenn sie mitbekamen, dass die Tiere nicht leiden mussten. Und in noch viel besserer Stimmung, wenn sie den Hummer gegessen hatten.
Trotz alledem:
Es war ein anstrengender Tag gewesen. Es war spät geworden, zudem hatte der Pastis seine Wirkung gezeigt.
Ich steige mit Isabell die Treppe zu unserer Kemenate rauf, die wir immer dann benutzten, wenn es zu spät geworden war und wir nicht mehr zu unseren Familien heimfahren konnten.
Genüsslich essen wir die beiden letzten Hummer, die wir über die freien Tagen nicht im Aquarium verkommen lassen wollten und denen wir eine extralange Marihuana-Inhalation gegönnt hatten. Dazu trinken wir eine Flasche Wein.
Endlich wirft mir Isabelle vom Bett aus diesen Blick zu, auf den ich bereits seit Monaten gehofft hatte. In dieser Nacht würden mich Isabells Scheren umschlingen; ich bin mir aber sicher, in diesem ganz speziellen Kampf nicht weitere Glieder verlieren zu müssen. Und wenn doch: Ich würde glücklich sterben.
Über dem Eingang leuchtet der grüne Hummer mit den übergroßen Scheren des Le homard qui fume de l´herbe. Viel heller als üblich.

 

 

  © Jürgen Gebhardt        April 2023

 

 

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