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19.08.2024, 12:26

Neuer Lesestoff 2024

Unsere neue Anthologie "Zwischen Rittersturz und Stattstrand" ist im Oktober 2024 erschienen.   mehr




 

Guido Bartz


Geboren 1966 in Wuppertal und aufgewachsen im Rheinland in der Nähe von Köln, interessierte er sich schon immer für die Literatur und das Schreiben. Nach dem Abitur mit Deutsch-Leistungskurs folgte anstelle eines Germanistikstudiums ein Abschluss als Diplom-Informatiker an der Universität Koblenz. Als solcher tätig seit 1993 bis heute. Geschieden, zwei Kinder, lebt er in der Ost-Eifel.

  
Zahlreiche Texte, aber ausschließlich private Veröffentlichungen, seit 2015 Teilnehmer der Literaturwerkstatt VHS Neuwied unter der Leitung von Ulrich Bergmann.

Die Maschine


Es ist ein eigentümlicher Apparat, sagte der Offizier zu dem Forschungsreisenden und überblickte mit einem gewissermaßen bewundernden Blick den ihm doch wohlbekannten Apparat. In seiner dunkelgrünen Uniformjacke und der blauen Anzughose mit den roten Streifen am Rand und den exakten Bügelfalten stellte der Offizier eine imposante Erscheinung dar, nicht nur wegen seiner Körpergröße. Er wischte sich mit einer lässigen Bewegung der rechten Hand ein imaginäres Staubkorn von der linken Schulterklappe, auf der neun siebenzackige Sterne in verschiedenen Legierungen funkelten. „Und Doktor von Scheydter“, er blickte den Reisenden herausfordernd an, „was sagen Sie? “„Nun.“ Dieser stellte seine große Arzttasche aus Leder auf den schweren Eichenholztisch, der, mit Papieren und Büchern beladen, vor der Maschine stand. Umständlich öffnete er den eisernen Maulbügelverschluss und entnahm ihr eine Brille mit runden Gläsern. „Geben Sie mir einen Moment ,mein General. Ich darf Sie doch so ansprechen?“ Der Offizier lächelte wohlwollend. Mit einem großen weißen Taschentuch, das an den Rändern blau eingefasst und auf dem die Zahl 42 in goldenen römischen Ziffern gestickt war, putzte er die Brillengläser ausgiebig und akribisch. Anschließend tupfte er sich den Schweiß von der Stirn, der Apparat strahlte eine große Hitze aus und verstaute das Tuch wieder in der Tasche. „Erlauben Sie, dass ich ablege.“ Er entledigte sich des schweren Wollmantels, faltete ihn zusammen und legte ihn neben die Tasche auf den Tisch. Seinen schwarzen Zylinder drapierte er auf dem Mantel, rund um seinen schütteren Haarkranz glitzerten die Schweißperlen. „Die Wärme der Maschineerscheint mir nicht normal.“ „Der Grund, warum ich Sie kommen ließ!“, schnaubte der Militär ungeduldig, „jetzt machen Sie schon! “Doktor von Scheydter schritt die Vorderseite des Apparats mit einigen Schritten ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt musterte er die Maschine. „Sehr gute Arbeit, mein Herr General! Man erkennt die Kompetenz hinter dem Ganzen, meinen Respekt!“ Er nickt anerkennend mehrmals mit dem Kopf. Der Apparat war riesig, massiv und wuchtig, er ragte pyramidenartig bis in den Himmel, seine Spitze wolkenverhangen. Die offene Bauweise ließ den Blick auf ein schier undurchschaubares Konglomerat aus Stangen und Zahnrädern frei, die, aus Holz und Metall gefertigt, ineinander griffen und durchglänzende Nieten und Schrauben zusammengehalten wurden. Immer wieder waren Kurbeln und Pedale angebracht, deren Funktionsweisen nicht offensichtlich waren. Rechts neben dem Tisch an der Vorderseite der Maschine befand sich eine große Tafel, gut erreichbar und mit Knöpfen, Schaltern und kleinen Hebelchen übersät, alle in exakten Reihen angebracht, alle unbeschriftet. In der
Mitte der Steuerungstafel war ein Bildschirm montiert, auf dem Zahlenkolonnen in grüner Schrift auf schwarzem Hintergrund von unten nach oben flossen. Manchmal stockte die Anzeige und der Doktor meinte 3.14159265359 erkennen zu können, bevor sich das Bild wieder in Bewegung setzte. Am Rande der Tafel spuckte eine Stanzmaschine ununterbrochen einen gelben Lochstreifen aus. „Ich bin auf meinen Forschungsreisen viel herum gekommen, habe zahllose Gerätschaften dieser und anderer Art gesehen und inspiziert, aber so etwas …“ Von Scheydter schüttelte leicht den Kopf. „Nein, so eine Apparatur ist mir noch nicht untergekommen. Gestatten Sie, mir einen ersten Ein-druck zu verschaffen. “Langsam und gemächlich schritt er einmal um die gesamte Konstruktion herum. Dem General er-schien es wie eine Ewigkeit, er hörte den Doktor aus der Entfernung immer wieder murmeln, mallauter, mal leiser, einmal meinte er „Unglaublich!“ zu vernehmen. Als der Forschungsreisende nacheiner Weile wieder an der Vorderseite angekommen war, entnahm er seiner Tasche ein Hörrohr aus Eisenblech. „Ich werde nun mit den Konsultationen beginnen, bitte bleiben Sie zurück, mein General!“ Und tatsächlich, der Angesprochene trat wie geheißen respektvoll einen Schritt zurück. Von Scheydter setzte das Hörrohr an verschiedenen Stellen der Steuerungstafel an, wieder und wie-der lauschte er hingebungsvoll auf die Geräusche aus dem Inneren des Apparats. Er untersuchte den Lochstreifen, betätigte einen Hebel, drückte eine Knopf in der untersten Reihe. Plötzlich stieg dünner Rauch auf, hektisch drückte er den Knopf erneut, schüttelte den Kopf, der Rauch verflüchtigte sich wieder. „Wie lange haben Sie diesen Apparat schon, General?“ „Er steht hier seit dem Anbeginn aller Tage. “„Ja, das habe ich mir gedacht. In diesem Falle hilft nur noch …“Doktor von Scheydter betätigt drei auf der Tafel weit voneinander entfernte Knöpfe gleichzeitig und drückt anschließend einen Schalter, am Himmel zeigen sich leuchtende Blitze in grün-lila, ein Donnerbleibt aus. Leise Töne setzen ein, werden lauter, werden Musik. Dem Offizier laufen die Tränen über die Wangen, als er die Melodie wiedererkennt. Der Forschungs-reisende packt seinen Block aus und stellt die Rechnung.


Guido Bartz



High Noon


Die Sonne stand hoch über den Silverpeak Mountains. Unbarmherzig brannte sie auf die Main Street, noch die einzige Straße von New Fountain Springs. Seit die Eisenbahngesellschaft beschlossen hatte, hier einen Bahnhof zu errichten, strömten immer mehr Menschen in das kleine Nest.
Deputy Hank Lawson stieß den vor ihm im Dreck der Straße liegenden Mann mit seiner Stiefelspitze an. Staub wirbelte auf und senkte sich auf die große Blutlache, die sich rund um den Körper ausgebreitet hatte. „Der ist hinüber, Sheriff.“ In der Ferne wehten ein paar Steppenläufer vorbei. Amos Carter nickte und spuckte seinen Priem in den Staub der Straße. Er nahm seinen Stetson vom Kopf und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. „Hol den Bestatter, Hank, er soll ihn irgendwo begraben.“
Als Malachi Graves kurze Zeit später mit seinem Karren erschien, durchsuchte er zuerst die Westentasche des Toten. Zufrieden steckte er ein paar Münzen ein und nickte Carter zu. „Packt ihr mit an?“ Gemeinsam wuchteten sie den Körper auf den schmalen Holzkarren, vor den ein ausgemergelter Esel gespannt war. „Ich verscharre ihn im hinteren Bereich.“ Der schwarz gekleidete Mann lupfte grüßend den großen Zylinder und verbeugte sich spöttisch Richtung Carter: „Sheriff!“ Pfeifend schwang er sich auf den Esel, schnalzte mit der Zunge und das Gespann rollte gemächlich Richtung Friedhof.
Aus vollem Galopp zügelte Crowe seinen schwarzen Hengst. Langsam stieg er ab, vor ihm lag New Fountain Springs, nur noch ein paar Minuten entfernt. Aus der Satteltasche holte er das zerknitterte Plakat und strich es glatt. „Wanted – Dead or alive – Gideon Slade – $2000 Reward“. Das Gesicht mit dem markanten Kinn und dem schwarzen Vollbart verfolgte ihn nachts in seinen Träumen am Lagerfeuer. Crowe verfolgte Slade und seine Black Wolves schon seit Wochen. Nach dem brutalen Banküberfall der Bande mit sieben Toten vor zehn Tagen in Copperford war das Kopfgeld noch einmal erhöht worden. Die Spuren hatten ihn hier hingeführt, nach New Fountain Springs. Diesmal würde er ihn stellen, das hatte er beim Pissen heute Morgen ganz deutlich gespürt.
Im Ort angekommen schlang er die Zügel um die Stange vor einer kleinen Bretterbude. „Bis gleich, mein Junge.“ Er tätschelte den weißen Flecken auf dem Hinterteil seines Pferdes und betrat die Postkutschenstation. Seine Augen mussten sich erst an das Dunkel im Inneren gewöhnen. Ein Halbwüchsiger lungerte hinter der Theke und sah ihn fragend an. „Sir?“ „Kümmer’ dich um mein Pferd, Kleiner. Reib’ es ordentlich ab, wir haben einen langen Ritt hinter uns. Bin bald wieder zurück.“ Er warf ihm eine Münze zu, die der Junge geschickt auffing und trat zurück auf die Straße, zurück in den grellen Sonnenschein.
Crowe ging hinüber zum Brunnen. Der schwere, schwarze Schwengel quietschte, als er Wasser pumpte. Mit beiden Händen warf er sich das kühle Nass ins Gesicht und trocknete sich mit seinem Halstuch ab. Der Straßenstaub saugte die herumspritzenden Wassertropfen gierig auf. Suchend sah er sich um. In der Mittagshitze lag die Main Street wie ausgestorben vor ihm.
Aus Dessert John's Saloon erklang einladend Klaviermusik. Entschlossen stieß Crowe die Saloontüren auf und trat ein. Die Flügel schwangen hinter ihm hin und her. Die Pokerspieler rechts am Tisch blickten kurz von ihren Karten in der Hand auf, der Pianospieler spielte eine falsche Note, aber sonst nahm niemand Notiz von dem Neuankömmling.
An der Theke warf Crowe eine Dollarmünze auf den Tresen. „Whisky!“ Das Glas in der Hand sah er sich um. Eine ausladende, breite Treppe führte hinauf zu einer Empore in den ersten Stock. Dahinter lagen die Zimmer der Ladys. Gideon Slade konnte er nirgends entdecken.
Dafür sah er plötzlich Ruby oben auf der Treppe. Lange rote Haare, grüne Augen, schmale Taille, elegantes langes Kleid. Sie hielt sich mit der rechten Hand am Geländer fest und lächelte Crowe an, als sie ihn erblickte. Seine Gedanken schweiften kurz ab. Bei seinem letzten Besuch hatte er ein paar schöne Stunden mit ihr verbracht. Er grinste frech zurück. Vielleicht später, dachte er, danach.
Sein Grinsen gefror ihm im Gesicht, als Gideon Slade neben die schöne Frau trat, seinen Arm um ihre Hüfte legte und sie küsste.
Crowe stürzte den Whisky hinunter, knallte das Glas auf die Theke und rief mit scharfer Stimme: „Gideon Slade! Komm mit raus, bringen wir es zu Ende!“
Mit der linken Hand wischte er eine lästige Fliege von seiner Stirn, seine rechte schwebte über dem Colt im Halfter. Crowe hatte sich mit dem Rücken zur Sonne gestellt, Slade stand zehn Meter entfernt genau gegenüber. Die Pokerspieler waren auf die Straße getreten und starrten gebannt auf die Szene. Ruby stand kreidebleich hinter den Türen des Saloons, die immer noch langsam hin und her schwangen. Gideon Slade klemmte die linke Seite seines langen, schwarzen Mantels hinter das Halfter und blinzelte gegen die Sonne. Seine linke Hand schwebte einsatzbereit über dem Griff seines Smith & Wesson.
Beide Männer starrten sich an. Der schwarze Hengst warf den Kopf in die Höhe und wieherte. Ein schriller Schrei. Zwei Schüsse.
Zeitgleich mit der Kugel durchfuhr Crowe die schmerzhafte Erkenntnis, dass er diesmal nicht schnell genug gewesen war.



© Guido Bartz, November 2025

 

 

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