Sven Schmidt
Sven Schmidt, geboren 1977 in Neuwied, seitdem zufriedener Stadtteilbewohner zwischen Wied und Rhein, nach Abitur und Wehrdienst zum Bürostuhlakrobaten mutiert, verheiratet, Vater von zwei Kindern, über das Lesen zum Schreiben gekommen. Begeisterter Besucher der Neuwieder Literaturwerkstatt . Schreibt hauptsächlich Kurzgeschichten, ohne sich auf bestimmte Themengebiete festzulegen. Träumt von Zeit und Geduld irgendwann ein kleines Büchlein mit Leben zu füllen und Gast beim "Literarischen Quartett" zu sein.
Weitere Geschichten könnt ihr in unserer Anthologie "Giovannis blonde Frauen" finden!
Die Geschichte vom Po-Horn
Er lebte als eines unter vielen Lebewesen im Kreislauf von Fressen- und Gefressen-werden und war nicht besser oder schlechter als die Löwen, Ameisenbären oder Giraffen in der Weite der afrikanischen Savanne. Doch eines Tages bemerkte er, dass ihm etwas fehlte. Der Mensch besah sich alle Tiere genauer. Ja - sie konnten etwas, was er nicht vermochte. Sie waren geschickt im Anschleichen und ahnten scheinbar Gefahr, fanden leichter Nahrung.
Der Mensch sah drei Tage flehend in den Himmel, ohne zu essen, ohne zu trinken. Dann - ein göttlicher Blitz der Schöpfung.
Und so hielt er ein kleines, dreieckiges Horn in Händen. Plötzlich war es da und er wusste gar nicht recht was er damit tun sollte. Völlig unbedarft steckte er sich das Horn an den rechten Fuß. Als die anderen Tiere ihn so sahen, lachten sie ihn aus. Die hinterlistigen Hyänen bekamen sich vor Lachen nicht mehr ein. Die Antilopen kicherten bei jedem Bocksprung. Der Mensch fühlte sich schlecht. Ausgestoßen. So als würde er nicht mehr zum Kreislauf dazu gehören.
Dann fasste er sich ein Herz und steckte es an den Po. Er hatte jetzt das Gefühl, genau das Richtige getan zu haben und stolzierte auf allen Vieren mit hoch gerecktem Hinterteil durch die Savanne, so wie es die Paviane taten. Die Tiere lachten wieder. Doch diesmal prusteten Elefanten, Tiger, Löwen und auch Spitzmäuse so laut, dass die Affen von den Bäumen fielen. Das blöde Horn, stellte das Menschlein obendrein fest, war an dieser Stelle ein störender Begleiter, wenn man sich „in die Büsche schlagen“ musste.
Er war nun traurig, fühlte sich einsam und wusste nicht recht, was er mit diesem nutzlosen Ding anfangen sollte.
Zum Ende des Tages legte er sich frustriert unter einen Affenbrotbaum und warf das Horn wütend ins Geäst. Des Nachts, als die Bewohner der Savanne friedlich schliefen, fiel es herunter und landete mitten im Gesicht des Menschleins. Jetzt explodierten seine Sinne. Die Welt erbebte für einen kurzen Moment, in böser Vorahnung. Er reckte sich, stand jetzt aufrecht, hob die Hornspitze in den Wind und roch zum ersten Mal die Süße der Früchte, erschnupperte den fauligen Gestank des nahen Wassertümpels und konnte nun auch schmecken. Der Mensch war stolz einen Platz für das Horn gefunden zu haben. Er berührte es zärtlich, sog frischen Sauerstoff durch die zwei Öffnungen und nannte es Nase. Jetzt da er riechen, die Tiere unterscheiden und verstehen konnte, fühlte er sich stark, überlegen. Er erinnerte er sich daran, wie sie ihn auslachten, als er noch ein Po-Horn hatte. Jetzt war ihm bewusst, dass er tatsächlich nicht zu ihnen gehörte. Er war besser als die Tiere. Niemand würde ihn mehr auslachen!
Dann begann der Mensch mit der Jagd…
Sven Schmidt 11/2022